Schau ma moi, dann seng mas scho (schauen wir einmal, dann sehen wir es schon)!
Wie es so weit zu kommen vermochte, und gar so lange! Diese Frage stellen sich meine niedersächsischen Freunde oft, wenn ich auf Heimatbesuch bin.
Angefangen hat alles mit meiner Fußballbegeisterung in den frühen Kinderjahren, einer aufgebrauchten FC Bayern Bettwäschegarnitur und einem zu klein gewordenen Bayern T-Shirt meines Schwagers. Von da an war ich dem FC Bayern München verfallen und meine Mutter hatte Mühe, die Bettwäsche zu tauschen und mein Bayern-Shirt zu waschen. Die Faszination und Neugierde, diese Stadt hinter dem Verein kennenzulernen, hat mich über die gesamten Jahre des Teenageralters und jungen Heranwachsenden begleitet.
Ein weiteres Indiz für meine Sehnsucht nach München war der prägende Aufenthalt eines Bayernspiels im Olympiastadion mit anschließendem Besuch auf der Wiesn im Jahr 1994. Der legendäre FC Bayern spielte gegen den großen HSV aus Hamburg und darauf folgte der Ausflug in eines der Wiesnzelte auf dem Oktoberfest. Das ehrwürdige Olympiastadion auf der Gegengerade in unmittelbarer Nähe zur Südkurve live zu erleben und zu spüren, da war mir klar, es zieht mich definitiv nach München, um den Puls dieser Stadt wahrzunehmen.
Meist ist es ein kleiner Stein, der Anstoß, der jemanden zum Aufbruch bringt, irgendetwas Neues zu erfahren.
Bei mir waren es drei Gründe, die alles ins Rollen gebracht haben, etwas in meinem Leben zu verändern. Mit 27 Jahren war ich an einem Punkt, der mich zweifeln ließ, ob das geregelte Dorfleben mich bis zum Ende meines Lebens zufriedenstellen würde. Der Job in der Klinik war solide, fußballerisch waren die Möglichkeiten für mich ausgereizt, und zu allem Überfluss trennten sich meine Eltern. Zu diesem Zeitpunkt fasste ich die Entscheidung, eine Veränderung herbeizuführen.
Da ich Single war und niemanden eine Verantwortung schuldete, hatte ich nichts zu verlieren. Zum Ende des Jahres 2001 teilte ich meiner Familie mit, das heimische Weserbergland zu verlassen und nach München zu ziehen. Die Reaktion der Angehörigen hatte die komplette Palette der Emotionen wie Schock, Überraschung und Anerkennung zu bieten.
Auf die Frage meiner Mutter, warum denn ausgerechnet München, entgegnete ich ihr, weil da der FC Bayern spielt und dort das Oktoberfest stattfindet. Das hört sich kurz gedacht an, war aber sehr wohl überlegt. In die Geburtsstadt Berlin zog es mich zu diesem Zeitpunkt nicht zurück. Nach Hamburg hatte ich wenig Motivation und das Ruhrgebiet mit dem BvB war überhaupt keine Option.
Gesagt und umgesetzt, nach einem Vorstellungsgespräch hatte ich die Zusage zum April 2002 in einem der größten Klinikverbunde der Stadt München bekommen.
Wer kann, der kann!
Am 25. März 2002 war es so weit. Die paar Habseligkeiten waren in meinem Renault Clio verstaut und ich reiste ab in den Süden nach München. Während der Fahrt über die Autobahn überfiel mich ein Gefühl der Erleichterung, genauer gesagt Erlösung. Endlich konnte ich das Alte abstreifen und neu anfangen. Ein paar Zweifel, ob alles richtig ist, waren vorhanden, aber mit der Gewissheit den Halt der Familie im Rücken zu haben, war der Aufbruch in das neue Abenteuer leichter.
Ich beschäftigte mich auf der Fahrt damit, wie lange ich in München bleiben werde. Es gab nicht wenige in dem persönlichen Umfeld, die sich sicher waren, dass ich spätestens in einem Jahr wieder zu Hause bin. Das Ziel war es, mindestens bis zur WM 2006 in München zu bleiben. Die neugebaute Allianz Arena vor den Toren der Landeshauptstadt zu besuchen und dann ein Fazit zu ziehen, was meinen weiteren Lebenslauf betrifft.
Den Gedanken hinterher und volle Konzentration auf die Fahrt voraus kam ich am frühen Nachmittag im Münchner Stadtteil
Schwabing an. Zuerst holte ich den Wohnungsschlüssel zum klinikeigenen Wohnheim ab, um dann mein neues Zuhause zu erkunden. Die Wohnapartments in der Belgradstr. 28 hatten schon die beste Zeit hinter sich, waren aber für den Entdecker von München zu diesem Zeitpunkt vollkommen ausreichend. Im Erdgeschoß 25m², eine Küchenzeile im Flur, Bad mit Wanne und ein Schlaf/Wohnzimmer, dazu ein Balkon.
Das nächste Ziel war es, mich zurechtzufinden. Wo gab es was, welche Prioritäten sind erforderlich und wie sind die ersten Schritte! Den Supermarkt hatte ich vor der Nase, die Pizzeria war um die Ecke und das Freibad - die Georgenschwaige, auf der gegenüber liegenden Straßenseite. Zu meiner Freude war das
Olympiastadion nicht weit von der Wohnung entfernt und mit dem Rad mühelos zu erreichen.
Die erste Amtshandlung war, einen Brief an den FC Bayern zu schreiben, um eine Jahreskarte zu bestellen, welche ich prompt zur neuen Saison 02/03 bekam.
Der zweite Gedanke war, dass ich mich unter die Menschen mischte. Daher suchte ich mir meinem Hobby entsprechend einen Fußballverein. Ein Lied der Spider Murphy Gang (Skandal im Sperrbezirk) inspirierte mich, beim FC Schwabing 1956 München e. V. anzuheuern. Hier wurde gekickt und nicht nur in eine Kneipe gegangen.
In den nächsten Tagen und Monaten war mein Leben auf die Arbeit in der Notaufnahme und das Training beim FC Schwabing ausgerichtet. Sowohl in dem Arbeitsteam als auch bei den Vereinskollegen wurde ich ohne Probleme aufgenommen. Mit den Arbeitskollegen*innen in der Notaufnahme verband mich mehr als nur die tägliche Arbeitsroutine. Der Arbeitsalltag verlangte uns eine Menge ab und es wurde von uns viel unternommen, um den Arbeitsstress abzulegen. So kam ich den Genuss einige Szenelokale in Schwabing kennenzulernen.
Die anfängliche Zeit in München war geprägt von arbeiten, feiern und Fußball spielen. Das vielfältige Kulturangebot der Stadt nahm ich erst später wahr. Es war der Moment, wo das größte Glück in mein Leben trat und sich die zukünftigen Planungen in Luft auflösten und sich alles veränderte.
Gekommen, um zu bleiben!
In den folgenden zwei Jahren bis 2004 saugte ich das Lebensgefühl dieser Stadt auf. Das eigene Flair von München, dieses Gefühl der Unkompliziertheit hatte mich immer mehr gepackt. Die kurzen Wege per Radl und mit den Öffis alles zu erreichen ist ein eindrucksvolles Privileg und ein triftiger Grund langfristig zu bleiben. Nach der Arbeit bin ich oft in den Olympiapark geradelt oder habe eine kleine Radtour durch den Englischen Garten mit diversen Einkehrmöglichkeiten in den dortigen Biergärten unternommen.
Der Mai 2004 hat mein Leben schlagartig verändert. Nach einem anstrengenden Spätdienst an einem Freitagabend überredete mich meine Arbeitskollegin zu einem Schwabinger Kneipenbummel. Dieser nahm seinen Anfang in der Trautenwolfstraße im Irishpub-Shamrock und dort sein überraschendes Ende.
Während meine Kollegin sich den Stress aus den Beinen tanzte, zog es mich an die Bar und beobachtete aufmerksam, welches Publikum sich in dem kleinen Pub tummelte. Das Klischee von Liebe auf den ersten Blick hatte ich zwar gekannt, aber niemals erwartet, dass es mich selbst treffen könnte.
Malgorzata war mit ihrer Cousine Teresa und WG-Mitbewohnerin Dorotea öfter im Shamrock, jedoch erst an jenem Abend hatte ich sie in jeder Hinsicht wahrgenommen. Nachdem ich Malgorzata angesprochen hatte und weitere Verabredungen in verschiedensten Lokalitäten Münchens folgten, hatte ich ein paar Monate später die Frau meines Lebens gefunden. Da wir beide ursprünglich andere Prioritäten bezüglich unserer Lebensplanungen hatten, beschlossen wir es auszuprobieren und herauszufinden, ob es eine Zukunft für uns in München gibt.
Wir probieren es seit 18 Jahren aus und erfinden uns immer wieder neu. Das wichtigste Fundament dabei ist unsere Liebe und gegenseitiges Vertrauen in glücklichen und in widrigen Zeiten.
Nach einem Jahr zogen wir zusammen, im Zweiten heiratete unsereins standesamtlich in der Mandlstraße am Englischen Garten und im Juli 2008 folgte die kirchliche Trauung in der polnischen Heimatstadt von Malgorzata.
Die Ausrichtung des gemeinsamen Lebens in unserer Traumstadt war damit amtlich besiegelt. Es hat ein paar Jahre gedauert, bis wir uns in der neuen Heimat arrangiert und etabliert hatten, sodass München unser Lebensmittelpunkt wurde. Die Tätigkeit im öffentlichen Dienst eines der größten Klinikverbunde der Stadt sowie mein Engagement im Sportverein und Mitglied der Christlichen Sozialen Union und im dortigen Gesundheitspolitischen Arbeitskreis lassen mich zu der Aussage hinreißen, das ich nun vom Preußen zum Bayern gereift bin.
Im April 2022 bin ich seit 20 Jahren in München sesshaft und es werden sicher viele Jahre folgen, in denen ich dich mit meinen Geschichten aus dem Münchner Leben unterhalten werde.